18102004



Der zweite FREIHAFEN nach der Sommerpause mit dem Thema: KOSTBARKEITEN. Langsam tröpfelten die Gäste kurz vor 20:00 ins M31 herein. Die beiden Moderatoren begannen ihr Konzept etwas umzubauen, da sie mit mehr Schreib- und Leseratten gerechnet hatten. Es war nicht einfach, aber notwendig. Am Ende waren es dann doch immerhin ca. 17 Personen, die sich vor dem knalligen Rot der Bühnenraums zusammenfanden. Als erstes las Berkant den Text EINDRÜCKE EINES SOMMERS in dem es um die heiße, helle Jahreszeit in der Stadt ging... und das typische dabei.

In der Zwischenmoderation wurden Kostbarkeiten in den Antiquariaten der Stadt und der Welt des Netzes thematisiert, die dort manchmal unserer harren. Marcel rezitierte dazu zwei Gedichte, die ihn in diesem Zusammenhang in den letzten Wochen tief im Inneren getroffen hatten. Und zwar Hildegard Knefs WERDEN WOLKEN ALT? und das pikante FRAUEN des Chilenen Nicanor Parra. Es folgte Ralf Pfennig mit dem Text DIE KLEINEN UND DIE GROSSEN KOSTBARKEITEN: Es war ein kalter, regnerischer Tag. Die Trübnis des Himmels spiegelte sich in unseren Gesichtern. Dabei hatten wir keinen Grund, so finster aus unseren feuchten Klamotten zu schauen. Doch diese herbstliche Kälte kroch unter Jacke und Mantel, schlich sich Millimeter um Millimeter in unsere Seelen. Da erblickten wir dieses Café. Es war das gelbliche Licht der Glühbirnen, was uns anlockte. Es versprach Wärme, einen Hauch künstlicher Sonne. So traten wir ein, meine Barbara und ich. Klein war das Café, ein paar Tische standen im Raum. Nur einer war noch frei. Ohne lange zu überlegen, setzten wir uns. Jacke und Mantel hängten wir an den Garderobenständer, als ob wir mit diesem Akt alles feuchte und trübe von uns streifen wollten.


Danach stellte uns der unermüdliche Michael Klein in ANROLLENDES BEGEHREN das Werben und Besitzen einer Frau vor.

Daniel wußte in der Zwischenmoderation mit dem - beinahe - frei vorgetragenen Gedicht WAR DA WAS? von Hans Magnus Enzensberger zu verwirren. Auch eine dieser Kostbarkeiten, die fast nichts sind, das aber total! Martin Doll, unser Taxidriver, präsentierte uns anschließend eine weitere mobilisierte Geschichten der Nacht. Sie trug den Titel DROGENSTRICH und thematisierte eine bezahlte Autofahrt nach Neukölln, Weichsel Ecke Karl Marx. Am Schluß fehlte das Geld und die drei Personen mußten nochmals an den Hermannplatz rollen, um welches aus dem Automat zu lassen. Daraus entwickelt sich ein Gespräch zwischen der Amateurprostituierten und dem studentischen Wagenlenker, in dem eine gemeinsame Affinität zum Schwäbischen deutlich wurde.

>> Darf man hier rauchen? <<

>> Nein <<, antwortete ich knapp.

>> Sie rauchen nicht? Kann ich verstehen. Habe vor drei Tagen auch nicht geraucht, jetzt rauche ich Kette <<

Die junge Frau, die in meine Taxe eingestiegen war, quasselte kaum dass sie die Autotür geöffnet hatte. Sie war eindeutig auf Drogen und zwar einer harten. Der Mann, der mit ihr einstieg, Freier, Dealer oder Zuhälter sagte zu mir spröde:

>> Neukölln, Karl Marx Ecke Weichsel <<

>> Es gibt Leute, die machen eine Therapie, um aufzuhören. << quasselte sie weiter.

>> Die müssen soviel Zigaretten rauchen, bis sie einen Ekel davor haben. Das ist symptomatisch bedingt. Das Symptom ist dann weg, aber dann kommt ein neues. Das aber verstehen unsere intelligenten Ärzte nicht. Wo fahren wir jetzt hin?

>> Nach Neukölln << gab der Typ zurück.

>> Ja, aber wie komme ich wieder zurück? <<

>> Das kostet nicht viel, << war seine Antwort.

>> Was kostet das denn? <<

>> Ein knappes Pfund, << antwortete ich.

>> Zwanzig Mark? - - - Ich kenne das, ich habe mal als ABM im Krankenhaus gearbeitet. Die Ärzte sind so bescheuert, entschuldigen sie bitte, aber die haben von Psychologie keine Ahnung. Soll ich ihnen mal eine Geschichte erzählen? Ich bin mit Vierzehn von Zuhause weggelaufen, da haben die mich in ein Heim gesteckt und gesagt, wenn ich will, dann kann ich weg. Aber ich konnte nicht weg. Die Türen waren abgeschlossen. Panzerglas. Die haben mich eingesperrt statt zu fragen: Frau Voller, warum ist ihre Tochter weggelaufen? Im Heim habe ich ein Mädchen kennen gelernt, die ist ständig von ihrem Vater sexuell missbraucht worden. Dann hat sie sich gewehrt, mit Dreizehn. Ob sie ihn getötet hat, weiß ich nicht, aber sie wurde auch ins Heim gesteckt. Die Erfahrung war aber ganz gut, weil ich nun einen Eindruck habe, wie man selbst im liberalen Deutschland mit unmündigen Menschen umgeht. Manche müssen so behandelt werden. Solche, die rumlaufen und Häuser anzünden oder sonst irgendeinen Scheiß bauen. Die Leute sind echt arm dran. Man sollte sie vom Leben erlösen. Die sitzen nur rum. Die können noch nicht mal Karten spielen. Die fragen nur: Was gibt es heute zum Essen? Dann sagst du denen was es gibt, und die sagen, das gab es doch schon gestern. Und du erklärst und sagst dann: Nein, gestern gab es dies und das. Verstehen sie was ich meine? Die sollte man echt erlösen, das wäre das Beste für die. <<

Im Rückspiegel sah ich, wie sie sich an den Typen schmiegte, jedoch ohne ihn zu küssen.

>> Was ist denn das für Müll, << fragte sie, als wir an einer Kirche vorbeifuhren.

>> Wir sind jetzt am Südstern, << gab ich zur Antwort.

...


Maike Stein beendete den Abend mit einer weiteren – der zweiten - Folge der HAFENBAR. Sie trug den vielversprechenden Titel URSUPPE und hielt was sie versprach. Es ist davon noch etwas übrig... aber das ist bei Suppen mal so und am nächsten dritten Monatmontag im November soll es damit ja weitergehen.

zum vollständigen Text, zweite Episode Hafenbar

Wir saßen und standen anschließend draußen im Gastraum noch eine knappe Stunde beieinander und tauschten uns aus. Danach ging jede und jeder in die Nacht und ihrer und seiner Wege.