Die große Reise


Die Welt die Monden ist        von R.M. Rilke


Vergiss! Vergiss!

Und lass uns jetzt nur dies erleben

wie die Sterne durch geklärten Nachthimmel dringen

wie der Mond die Gärten voll übersteigt

Wir fühlten längst schon

wies spiegelnder wird im Dunkeln

wie ein Schein entsteht, ein weißer Schatten

in dem Glanz der Dunkelheit

Nun aber, lass uns ganz hinübertreten

in die Welt hinein, die Monden ist.



Für ihn hatte ein neuer Lebensabschnitt begonnen.

Alles schien weit hinter ihm zu liegen. Das Leben würde ab jetzt von ihm in zwei Abschnitte eingeteilt werden. Teil eins war vergangen und vor der Herzoperation, ab jetzt begann Teil zwei.

Jedenfalls spürte er es ganz deutlich. Er nahm einen großen Schluck aus seinem Glas, sah zum Rehabilitationszentrum hinüber, das mitten in einem grünen Waldstück lag und ihm wirklich Erholung und Ruhe geboten hatte.

Seufzend dachte er aber daran, dass in ein paar Tagen alles wie vorher weitergehen würde. Die Brustwunde war verheilt, der Körper hatte bewiesen, wie stark sein Lebenswille Wunder gewirkt hatte.

Zurück in den alten Trott mit Arbeit und einsamen Abenden? Unmöglich! Der Gedanke daran ließ sein Herz wieder krampfen. Er hatte es bisher weit von sich geschoben, hatte schon so viel aus seinem ersten Leben verdrängt, dass er sich kaum noch erinnern konnte, wie es damals war. Nur eines wusste er, dass es niemals wieder so sein würde, dass es einfach nicht mehr passieren durfte. Er konnte nicht mehr nachvollziehen was ihn bisher bewegt hatte. Tatsächlich war er auf dem Weg auch diese Erinnerung zu vergessen.

„Vergessen" das war sein Schlüsselwort. Nur mit Mühe konnte er sich erinnern, aber das wollte er vermeiden. Er hoffte, dass er selbst diesen Entschluss vergessen würde. Er hatte schon damit angefangen und die Bilder seiner Eltern und Kinder vernichtet. Das war alles früher gewesen und jetzt einfach nicht mehr wichtig. Die Eltern waren tot, die Kinder erwachsen. Sie hätten es sicherlich auch gern, wenn sie sich nicht mehr um ihren Vater würden bemühen müssten.

Mit geschlossenen Lidern deckte er Dunkelheit über die Vergangenheit. Er hatte es früher mit Alkohol versucht. Der hatte aber nichts gebracht. Seither hatte er geübt und jetzt konnte er absichtlich Unerwünschtes verdrängen. Dazu brauchte er nur Ruhe und eine Umgebung, die es ihm erlaubte sich entspannt der Gegenwart zu widmen.

Er stand auf und ging langsam in den Wald, brach sich einen Weg durch das dichte Unterholz. Irgendwann stand er vor einem dicken Baum, der sehr alt aussah. Ameisen und Spechte hatten ihn benutzt und ein Vogelnest lag einsam auf einem kahlen Ast. Erschöpft lehnte er sich an den borkigen Stamm. Dann packte ihn Sehnsucht. Sehnsucht genauso stumm wie dieser Baum einfach nur so da zu stehen. Regen und Eichhörnchen zu fühlen, die sich an ihm empor bewegten. Er versuchte eins zu werden mit der Erde und dem Baum, dessen Jahresringe das Leben gespeichert hatten. Aber trotzdem war da keine Erinnerung. Die Jahre waren nicht wichtig nur das Dasein und der Wind, der durch das Laub strich.

Es begann zu nieseln. Er wünschte sich eine Rinde, an der das Wasser abfließen könnte und nicht von Nase und Kinn kitzelnd tropfte. Trotzdem verharrte er. Name, Alter, egal. Er fühlte eine Schnecke an seinen bloßen Füßen. Dunkel erinnerte er sich, dass er sich früher entsetzt hätte, nun aber verfolgte er aufmerksam und unbeweglich das schleichende Tierchen Er spürte wie seine Füße in den weichen nassen Erdboden einsanken. Er würde nicht durch die Zehen trinken können, also öffnete er langsam den Mund und ließ das kalte Nass seine Kehle hinunter rinnen.

So fanden sie ihn am nächsten Tag, der Spur seiner Kleidung folgend. Starr, nackt, unterkühlt, von Ameisen bedeckt, mit Beinen, die wie Wurzeln schwer im Erdreich verankert schienen. Der ferne leere Blick ließ die Tochter weinen und den Sohn erschüttert fragen: „Was ist nur mit ihm?"

Sie schauten in seine abwesenden Augen, versuchten ihn zu finden in seiner Welt, während er sich verwundert fragte, was denn diese fremden Wesen von ihm wollten. Bald würde er auch grüne Blätter treiben. Er spürte schon die Knospen an seiner Hand und seine Augen suchten die Sonne, die Leben spendete und ihn wachsen ließ. Der Wunsch einfach nur zu sein erfüllte ihn. Es war kein Platz mehr für Gedanken. Sein Glück war vollkommen.






Trennung

Sehnsucht quält mein ganzes Sein.

Ich hab es süß und tief genossen

und nun will ichs nicht meiden.

Hab sie ganz fest ins Herz geschlossen

und muss jetzt Schmerzen leiden.






Liebesgedicht:

ich küsse Dich zum Morgengruß

ich küsse Dich am Abend

und wenn Du Dich nicht küssen lässt,

dann schlaf schnell ein,

mein liebster Sonnenschein.

Dann werd im Traum ich bei Dir sein,

und küssen ohne Unterlass

bis dass ein Lächeln strahlt,

dann bist Du wirklich mein -

soo lieber Sonnenschein.







Alle Rechte bei Christian Scharff

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