Ausschnitte aus einigen Texten, die an diesem Abend gelesen wurden:


Wahre Lügen

von Hans - Ulrich Ziedorn



Jeden Tag, den kenn´ ich schon,

jede Nacht lieg´ ich hellwach,

verdiene einen Hungerlohn,

Miss Piggy macht mich schwach.


Gelassenheit ist aufgeregt,

die Ungeduld hat Zeit,

der Stress ist völlig unbewegt,

die Enge ist sehr weit.


Ohne Licht ist es viel heller,

und im dunkeln seh´ ich viel,

jeder Umweg ist viel schneller,

rückwärts komme ich ans Ziel.


Worte sind hier nicht zu finden,

dies Gedicht ist kein Genuss,

ich werd´ gleich von hier verschwinden,

deshalb mach´ ich jetzt auch Schluss.


Jede Mühe wird nichts bringen,

jede Anstrengung ist leicht,

Tage kann man überspringen

Ziele werden nie erreicht.


Obendrauf ist immer unten,

drum herum ist mittendrin

alle Männer das sind Tunten,

ich weiß nicht mehr wer ich bin.



Es geht um

von Ralf Pfennig


Ich lege auf, stürme an dem Pförtner vorbei auf die Straße. Bewaffnet mit einer Rolle Müllsäcke schleiche ich um Mülltonnen, Imbissbuden und Glascontainern. Eine tote Maus, schon starr, ist mein einziger Jagderfolg. Ich stülpe mir erst eine Tüte über meine Hand, damit greife ich mir den kleinen toten Nager und verpacke ihn gut. Doch woher so schnell eine Ratte nehmen?

Ich sehe Männer von der Stadtreinigung, die sich an einem Gully zu schaffen machen.

„Können Sie mir helfen? Ich brauch ne tote Ratte.“

Die Arbeiter gucken mich an, als wäre ich aus einer Anstalt entsprungen.

„Bitte, es ist wichtig.“ Ich zeige ihnen meinen Hausausweis vom Institut.

„Gibt viele tote Ratten zur Zeit“, knurrt einer der beiden Männer. Dann stochert er mit einer langen Eisenstange im Eimer, der unter dem Gullydeckel hängt und verhindern soll, dass Dreck die Kanäle verstopft.

„Ziehen Sie Handschuhe an“, sage ich, als etwas fellartiges zum Vorschein kommt.

„Will mich ja nicht an der Rattenpest anstecken“, scherzt der Mann, holt mit spitzen Fingern, die in dicken Handschuhen stecken, eine tote Ratte hervor.

„Sterben dies Jahr wie die Fliegen“, sagt sein Kollege, betrachtet angewidert den stinkenden Kadaver.

Zurück im Institut wartet schon Max auf mich.



Sehnsucht - unstillbar

von Lysette Hellbach


Ich verzehre mich nach dir.

Will nicht dich, will WIR.

Wenn ich dich rufe,

kommst Du. Ja?

Erklimmen wir Stufe für Stufe

den Liebesaltar.


Ungeduld bis du bei mir bist.

Sehnsucht mir das Herz anfrisst.

Deine Küsse machen mich satt

und tief atme ich deine Haut.

Bin zufrieden und matt,

weil du dich was traust.


Umschlungen, so eng, so nah

wie nie vorher mir einer war,

genieße ich lustvolle Zärtlichkeit

bis ich gehen muss, dann.

Zeig jetzt keine Traurigkeit;

zu Hause wartet mein Mann.



Die Zwillinge

von Erika Sandow

Wieder einmal stand ich im Supermarkt an der verkehrten

Kasse. Sind zwei Kassen offen, stehe ich bestimmt dort,

wo die Kasse durch irgend etwas zum Stillstand kommt.

Ob es eine verkehrte Buchung oder fehlendes Kleingeld ist,

immer trifft es mich, und jedes Mal ärgere ich mich darüber.

Aber einmal hatte ich Glück im Unglück.

Frau Müller, die ich länger nicht gesehen hatte, sagte gerade

zu der Kassiererin:

„Ist das heute viel Geld, na ja, ich habe auch zwei Mäuler

mehr zu stopfen“. Frau Müller und die Kassiererin lachten.

Ich sah gerade noch, dass Frau Müller große Pakete, wahrscheinlich

Windeln, schleppte. Dann war sie auch schon weg..

Ich traute meinen Ohren nicht. Welche Neuigkeit!

Frau Müller hat Zwillinge bekommen.

Nachdem ich endlich an der Kasse fertig war, machte ich

mich schwer beladen auf den Weg nach Hause.

Ich traf Frau Walter, die in unserem Haus unter mir wohnt,

und erzählte ihr meine Beobachtung. Sie war genauso

überrascht wie ich und meinte:

„Sie hat doch schon erwachsene Kinder und nun noch mal das

ganze Programm von vorne? Und dann auch noch Zwillinge?

Die Arme“.