16012005



Im Januar – in dessen ersten Tagen - geht alles wieder auf Anfang! Das Symbolische, das uns ausrichtet, beginnt einfach so selbstverständlich seltsam von vorn. So auch das TINTENSCHIFF. Deshalb das auch das Thema dieses FREIHAFENS: ABSURDE WELT. Wie meinte einst Eugene Ionesco, der Autor der NASHÖRNER: Wer sich an das Absurde gewöhnt hat, findet sich in unserer Zeit gut zurecht.

So ist das dann. Kurz vor 20:00 waren schon zahlreiche Gäste im gastronomischen Bereich des M31 eingetroffen. Angenehm, auch immer wieder neue Gäste auf unserer monatlichen Zeitreise begrüßen zu können.


Der Beginn machte aber an diesem Abend ein treuer Mitreisender, Martin Doll, der uns wieder eine Taxigeschichte mitgebracht hatte: ÖLWECHSEL. Sie handelt von einem Werkstattbesuch, einem Bademantel aus blauem Samt, blutverschmiert, einem Getriebekasten und einem Motor der blutet!! Angenehm absurd.. aber auch irgendwie nachvollziehbar.


Es folgte Ralf Pfennig mit der KLEINEN ZOOGESCHICHTE, die sich auf ein tatsächlichen Ereignis bezieht und aus der Sicht eines Betroffenen geschildert wird. In diesem Fall, die eines Löwen im Gehege, der sich eines menschlichen Eindringlings annimmt. Ein Ausschnitt:

Doch gestern passierte etwas. Ein Menschenmann kam zu mir und meinen Frauen hinein. Einfach so. Andere Menschen schauten erschrocken auf uns. Wir trauten unseren Augen nicht, witterten eine Falle, eine neue Bosheit. So ging ich langsam voran. Wachsam, auf alles gefasst. Nur nicht darauf, dass dieser Mensch ein Buch in die Höhe hob, als ob er es mir zeigen wollte, als ob er annahm, ich könnte lesen.

„Bruder“, sagte er. - - -

Das muß „natürlich“ böse enden!


Danach folgte Thomas. Ein Neuzugang, von Herrn Doll in den Hafen geleitet. Eine Premiere also, wie Daniel so gerne solche Momente hervorzuheben weiß. Thomas las DER FINGER AM ASCHENBECHER. Der Autor gab vor dem Lesen bekannt, dass die Story aus zwei schwachen Stories resultiert und er hoffe durch die Montage den Bereich der Dynamisierung erreicht zu haben. Es ging im Geschilderten um einen Behinderten im batteriebetriebenen Rollstuhl, dem der Saft ausgeht, und einem Beleuchter einer Filmcrew, dem ein großer Scheinwerfer herunter fällt. Ein Aschenbecher und das Wort „Arschloch“ haben dabei ein repetitives Moment. Rollstuhlfahrer und Beleuchter können sich trotz der Hektik der Welt helfen.


Maike Stein setzte das Programm mit dem Text DIE U-BAHNTHEORIE fort. Es geht darin um unterirdische Ungereimtheiten, die die Benutzung dieses Transportmittels in ein zwiespältiges Licht rücken. Und eine gewisse Sensibilisierung für die zukünftige Nutzung zur Folge haben könnte. Ein Ausschnitt: Wenn ich mit der U-Bahn unterwegs bin, komme ich nie zum verabredeten Zeitpunkt an. Das liegt nicht an mir. Ich gehe pünktlich los.

Es liegt an Karl. Und dem heimlichen Aufstand derjenigen, die diese Blechdinger durch den Untergrund steuern müssen. Ständig dieselbe Strecke, künstliches Licht, vor ihnen nur die Einsamkeit der Tunnel. Kein Vergnügen. Gut, auf manchen Strecken gibt es das Tageslicht-Privileg. Aber das ist die Ausnahme. Die meisten sitzen im Untergrund fest.


Wir gingen in die Pause. Inhaltliches und Emotionales wurde ausgetauscht. Da verfliegt die Zeit schnell. Daniel läutete nach 15 Minuten mit der Hafenglocke in die hinteren Räume des Abends zurück. In der Moderation versuchte ich über „absurdes“ Zahlenmaterial, wie 175 000 vom Meer Geraubte in Südostasien, 57 Milliarden Euro Schulden des Landes Berlin, 30 Milliarden Euro verschwendete Bundesmittel auf unseren Alltag und dessen Medien aufmerksam zu machen. Dies leitete über zu Ilja Hübners ABSURDE WELT und VON EINEM EXTREM INS ANDERE. Ersteres war recht kurz, handelte vom Fern-Sehen, das über das Verbuddeln in einem Erdbeerfeld in ein Nah-Sehen verwandelt wird. Die zweite Story, von einer Brusterweiterung und einem großen Penis. Die nicht zueinander finden konnten und so blieben sie allein. Wir ahnten es schon: Oberflächen reichen nicht immer aus.


Daran schloß sich Isabel Kobus – noch eine Premiere – mit der sensiblen Geschichte des Titels KATZENKOPF an. Ein 15 jähriger Junge findet mit einer seltsamen Schulfreundin das abgetrennt Haupt eines Stubentigers... worauf sich seltsame Dinge zutragen.


Ralf Pfennig beschloss den Abend mit dem PSYCHATRISCHEN KONGRESS, der Zusammenkünfte thematisiert, die sich in der Zukunft zutragen werden. Ein Ausschnitt:

Wenn Gott nicht mit uns redet, können wir nicht mit ihm reden. Da wir wissen, dass kein Gott mit uns redet, es sich nur um Phoneme handelt, können wir auch nicht akzeptieren, wenn jemand mit Gott redet. Also ist jeder der betet fast genau so psychotisch, wie jemand der Gottes Stimme glaubt zu hören.

Weitere Vorträge zu unserem diesjährigen Schwerpunktthema kommen aus der ganzen Welt. Italienische Radikalreformer wollen Haldol ins Trinkwasser vom Vatikan einleiten. Iranische Kollegen berichten von ersten Erfolgen mit dem Einsatz von niederpotenten Neuroleptika. Schwerst Erkrankte haben sich beispielsweise nach Jahren erstmals wieder rasiert. Von der angesehenen Universität Jerusalem erreichen uns erste Ergebnisse von Doppelblindstudien mit Probanden aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Es kam unter der Therapie zu spontanen Verbrüderungen. Leider hat ein zu schnelles Absetzen der Medikamente den alten Zustand der unsinnigen Feindschaft wieder herbei geführt. Das chinesische Bildungsministerium hat eigens ein landesweites Programm zur Aufklärung gestartet. Barfussärzte sind bereits unterwegs in alle Provinzen.

Ein Blick dorthin - von dieser Ralf-Geschichte ausgelöst - wo etwas auf uns zukommt und von dem man vielleicht einmal sagen kann: Früher.... war die Zukunft schon schlechter! Der eigenartig positive Abschluß, eines flotten Abends! Wir standen mit den zwanzig Teilnehmer des FREIHAFENS noch geraume Zeit im gastronomischen Bereich des Hauses zusammen und tauschten uns aus. Martin Doll schlug einen Besuch der Autorenbühne in der Schwarzschen Villa in Steglitz vor. Wovon Stefan Welke nicht sonderlich begeistert schien.