21022005



Es ist immer noch kalt. Und hat in den letzten Tagen sogar geschneit. Musste das sein? Ja, es musste! Ein neuer FREIHAFEN, ein neues Spiel anwesender Phantasien. Das Thema lautete SÜCHTIGE VERLIERER. Der Besucherandrang hielt sich in Grenzen. Lag es an der Erkrankung potentieller Besucher, lag es an der gerade zu Ende gegangenen Berlinale? Wer weiß. Die Realität ist eine hoch komplexe Angelegenheit. Zu zwölft begaben wir uns nach hinten an Bord, sozusagen in den roten Bereich.

Daniel und Marcel begannen ihre Moderation mit einem Verlierer-Gedicht aus dem Gedichtband HEUTE NACHT, MORGEN DU. Daran schloss Alain Rebaf mit seinem Text LEYDICKE an. Ausgangspunkt der Geschichte ist das bekannte Alkohol-Restaurant im Umfeld des S-Bahnhofs Yorkstrasse. Dort treffen sich seine Hauptfigur Felix, der Freund KB und zwei Studienkolleginnen. Sie betrinken sich mit hochprozentigen Obstweinen und landen, stark umnebelt, in der kleinen Wohnung von Felix in Moabit. Sie übernachten zu viert. Am nächsten Morgen wacht Felix als erster auf. Während er Kaffee kocht und das Fenster öffnet fragt er sich: Ob es in der Nacht wohl zu einem „flotten Dreier“ gekommen ist? Eher nicht...
(Alain - alain.rebaf@gmx.de - bietet allen Interessierten eine mp3 Datei seines gelesenen Textes an.)

Darauf folgte Regina Seidel, die ihren Text DIE LIEBESGABE präsentierte. In Tagebuchform erzählt er von einer Büroangestellten, die sich in ihren neuen Chef verliebt; sich dabei immer tiefer in ihre Gefühle steigert und weiter und weiter von der Realität entfernt.

DIE LIEBESGABE

Montag, 04. Oktober

Was für ein wunderbarer, aufregender Tag! Ich bin noch immer ganz aufgekratzt. Unser neuer Abteilungsleiter ist da! Der Chef persönlich hat ihn eingeführt, es gab Schnittchen und Sekt für uns alle. Dr. Joachim Meersburger! Er sieht einfach umwerfend aus. Groß, schlank, aber von kräftiger Gestalt, seine blauen Augen strahlen wie Amethyste. Als er mir die Hand gab, jagte mir ein Schauer über den Rücken. Er hat mir dabei so tief in die Augen gesehen, dass ich das Gefühl hatte, er dringt bis mein Innerstes hinein. Ich habe sofort gespürt, dass wir Seelenverwandte sind und ich ihm vertrauen kann. Als ich ihm später andeutete, dass Baumann mich immer so drangsaliert hat, hat er gesagt, dass wir bestimmt gut zusammenarbeiten werden. Dabei hat er mich so strahlend angelächelt, dass mir ganz warm ums Herz geworden ist. Die Rosemeyer ist natürlich total neidisch, weil wir uns auf Anhieb so gut verstanden haben. Die ganze Zeit hat sie eifersüchtig zu uns herüber geguckt. Tja, da wird sie wohl Trauer tragen, so einer wie Dr. Meersburger steht nicht auf tiefe Dekolletés.



Martin Doll las anschließend den Text DAS HUPKONZERT, in dem sich ein Berliner Taxifahrer mit einem vietnamesischen Bekannten in Saigon von einem dortigen Kollegen herumfahren lässt. Er ist erstaunt über die Geräuschkulisse der asiatischen Metropole und fordert den Fahrer auf das ständige Hupen zu unterlassen. Als dieser ihm aber erklärt, dass es Ausdruck der vietnamesischen Lebensfreunde ist, bittet er ihn noch mehr zu hupen.


Etwas später befanden wir uns wieder im Gastronomiebereich des M 31, wo wir noch etwas zusammenstanden und uns austauschten. Ein kleiner, feiner Abend. Manchmal ist das eben so!