16.02.2004
Wieder gab es einen Abend voller Geschichten, die sicherlich im einen oder anderen Gedächtnis haften bleiben. „Spuren“ war das Thema, die AutorInnen brachten viel Mysteriöses und auch Düsteres mit, ab und an gab es auch einen leichteren Schwank zur Erholung. Sehr eindringlich. Es entführten uns in ihre Welten:
Berk Bergen, der über Karrieren philosophierte, die nichts hinterließen als „Spuren im Sand“. Anschließend erzählte er von einer geplanten Reise auf einem „Traumschiff II“, von der ein Paar sehr unterschiedliche Vorstellungen hat. Zum Schluss trug er ein Gedicht vor „Traumschiff III“, das vom Umzug der Autorengruppe Tintenschiff vom Theaterschiff ins Mephisto31 berichtete.
Weiter ging es mit „Rührei für Emily“, einer Geschichte von Daniel, in der ein Großvater seiner Enkelin ein Abendessen zubereitet, was in der Küche diverse Spuren hinterlässt, da Emily gerne helfen möchte.
Nach diesem leichten Einstieg in den Abend wurde es nun geheimnisvoller. Hedda zum ersten Mal im Freihafen - verführte uns mit „Rosmarin und Thymian“. Ganz egal, wohin die Heldin sich auch wendet, sie wird von einem Reim aus ihrer Kindheit verfolgt: „Und dann war er da. Sie fuhr erschrocken herum. Aus dem Obergeschoss, aus diesem kalten Zimmer, hörte sie einen feinen, aber unüberhörbaren Ton. Da war er, der Reim: Heidelinde Ossen hat sich erschossen und das genossen. Sie stand im Innenhof, mitten im Licht und starrte auf die geöffneten Fenster.“
Eine düstere Geschichte, die mit einem erfolgreichen aber leeren Lebenslauf beginnt, schließlich einen Ausweg mit einem Haus in Südwestfrankreich zu bieten scheint nur um dann in einer Urne zu enden.
Stefan fand den „Zeitgeist“ in den Tierparks dieser wundervollen Stadt. Zu deren Rettung wurde eine Reality-Show in den Tiergehegen inszeniert, unter Beteiligung einiger Senatsmitglieder, die zur Unterhaltung der Bevölkerung in die Käfige zu den „niedlichen“ Tieren zogen. „Als besonderer Anziehungspunkt erwies sich dabei die Löwenanlage. Stundenlang verharrten Menschen davor. Ab und zu gab es halblaute, aufmunternde Rufe, die eher dem Löwen als seinem Mitbewohner galten. Zur Geier-Voliere zog es nur selten Zuschauer. Fast unbemerkt blieb, daß der Senator zwei Tage in den Felswänden kletterte, um seine Brille wiederzufinden. Schließlich klaubte er sie aus einem Nest. Außerdem schien er sich mit einem der Vögel angefreundet zu haben.”
Notlagen erfordern halt besondere Maßnahmen und manchmal auch Opfer...
Mit „Herzrasen“ und Regina gab es eine weitere Premiere. Hier ging es um Spuren im Schnee, die eine alte Frau in Panik versetzen. „Die Außenbeleuchtung erlosch und durch das Oberlicht drang nur noch das diffuse Restlicht der Straßenlaterne. Liesbeth hob die Hand zum Lichtschalter. - Nein, lieber erstmal kein Licht machen. Sie lauschte in die Dunkelheit und wartete bis sich ihre Augen daran gewöhnt hatten. Nur das Ticken der großen Standuhr im Wohnzimmer war zu hören. Noch nie war sie ihr so laut vorgekommen.“ Schnell wurden wir in die Geschichte gesaugt, bekamen selbst Herzklopfen, während die Protagonistin durch ihr dunkles Haus schlich und sich vor dem vermutlichen Einbrecher fürchtete.
Gruselig ging es auch in der nächsten Geschichte zu „Jan Wahn“ von Daniel. Er erzählte von einem Mann, der besessen auf der Jagd nach einem anderen ist, mit dem er mal zusammen lebte und der eines Tages einfach verschwand. Nun verfolgt er ihn über das Internet, vergisst darüber alles andere, meint schließlich, ihn gefunden zu haben. „Zum Glück können sich Schriftsteller nicht verstecken, sie wären sonst keine. Jan tauchte hier und dort auf. Mal ein kleiner Artikel in einer Regionalzeitung, mal eine Leseprobe bei einer Zeitschrift. Der Stil war unverkennbar, weiterentwickelt, literarischer, aber unverkennbar für jemanden, der ihn von Anfang an kannte. Jan hatte seinen Nachnamen geändert. Aus Koslowski wurde Schreiber. Ein kluger Schachzug. Und Originell. Wenn er erst berühmt wäre, könnte er so seine Privatsphäre schützen. Niemand wüsste seinen richtigen Namen. Nur seine Vertrauten. Nur er. Andreas klaubte die Spuren von Jans Existenz, die Spuren des beginnenden Erfolgs aus dem Datenmüll des Netzes. Jan ließ ihn nicht mehr an seinem Leben teilhaben. Ihn, seinen größten Förderer und Freund, fast Geliebten. Undank! Er würde sich nehmen, was man ihm verweigerte. Alles eine Frage der Zeit. Die gab es zur Genüge. Nur noch Jan zählte in diesem Leben.“
Den Abschluss des Abends machte Maike mit ihrer Geschichte „Erwachen“. Sara (bereits aus der Januar-Geschichte bekannt) wacht in einem ihr unbekannten Zimmer auf, hat vollkommen die Orientierung verloren. „Ein Hotel. Was machte sie in einem Hotel? Sie runzelte ihre Stirn, was erneut scharfen Schmerz auslöste. Verdammt. Durch den Nebel von Schlaf und Schmerz drang Panik. Sie war in einem Zimmer, das sie nicht kannte, sie wusste nicht einmal, welcher Tag heute war oder ob es überhaupt Tag war. Ihr Herz raste. Sie musste unbedingt die Uhrzeit wissen, das würde ihr bestimmt helfen. Sie richtete sich hastig auf, kämpfte mit der Trägheit ihrer Muskeln, schaffte es aus dem Bett. Auf dem Kühlschrank stand ein Reisewecker. Kurz nach sieben. Morgens oder Abends?“ So begibt sie sich auf Spurensuche nach der verlorenen Zeit.
Das nächste Mal (15.03.2004) heißt das Thema „Stadtgeschichten“ wir sind gespannt auf eure Beiträge!
Übrigens: Wer per e-mail über das Geschehen rund um den Freihafen informiert werden möchte (oder noch Kommentare zum Abend loswerden will), schickt uns eine e-mail an: freihafen@tintenschiff.de