20122004



Der letzte Freihafen im Jahre 2004. Das M 31 war stark besucht. Erfreulich und etwas überraschend in diesen kalten, dunklen Tagen! Dass sich doch einige aus ihren warmen Wohnungen und zum TINTENSCHIFF begeben hatten. IRGENDWAS MIT LIEBE – vier Tage vor Weihnachten – war das Thema der Nacht. Daniel rotierte, als ich 15 Minuten vor 20:00 den Glasbetonkasten des Veranstaltungsort betrat. 11 Autorinnen und Autoren wollten Texte präsentieren!! Unglaublich!!! Aber warum nicht! Wir schmälerten die Moderationsblöcke und bekamen alle jut unter.


Eröffnet wurde von Maike Stein mit dem Gedicht WEIHNACHTSZEIT:


Oh du fröhliche

Oh du selige

Oh du gnadenlose Weihnachtszeit

Die Zeit der Liebe und Behaglichkeit

jetzt wird sich bedankt

jetzt wird die Seele aufgetankt

jetzt wird schnell gespendet

und bei vielen jedes Wort gewendet

Weihnachtszeit -

die Zeit der Geschenke und Geschäftigkeit

in der Missgunst und auch Neid gedeiht

Ach,

dreimal werden wir noch wach ...

Die Zeit sie drängt und in der Not

gibt’s Präsente aus dem Sonderangebot

Geschubse und Gedränge

selbst in den Köpfen wird es enge

Endlich wird gesoffen und gefressen

- keine Beleidigung vergeben oder gar vergessen

Ein Wunder, dass nichts explodiert

doch dafür wird Silvester anvisiert.


Es folgte Mark, aus Hamburg angereist, mit DER SCHÖNSTE TAG IM LEBEN. Eine TS-Premiere. Es ging um „Liebe kaputt“ oder was sich in heutigen Tagen alles so zwischen Frauen und Männer zutragen vermag. Eine skurrile Geschichte, die Voyeurismus befriedigte und den Plot entfaltete: Sie heiratet und hält trotzdem die Beziehung zu einem anderen aufrecht. Selbst von der Hochzeitsfeier telefoniert sie aus der Damentoilette mit ihrem Lover, der uns diese Geschichte erzählt.


Es folgte Ralf Pfennig mit den Geschichten BETRUG und LIEBES SAUERKRAUT. Ersteres war sehr kurz, während letzteres sich mit den langwierigen Verdauungsproblemen nach einem größeren Essen beschäftigte. So was kann mühsam und seltsam sein... und es wurde auch viel gelacht.


BETRUG

Er saß bei ihr, der anderen Frau.

Als er heim kam, zu seiner Frau, da wurde er von ihr gefragt, was er bei der anderen gemacht habe.

Gesessen, sagte er.

Und?

Geredet.

War das alles?

Vorgelesen habe er ihr.

Was denn?

Seine Gedichte.

Soso. Und sonst ist weiter nichts passiert?

Nein.

Da war sie, seine Frau, zufrieden.


Maya schloss sich an mit der Story DER VATER, DER NICHT ALLES GEWESEN SEIN WOLLTE an. Dabei ging es um den Tod und die Liebe zum Vater.


Anschliessend präsentierte Martin eine neue Taxigeschichte mit dem Titel CHARLOTTENBURG WESTEND. Sie beschäftigte sich mit dem Warten am Theodor-Heuss-Platz. Die lange Zeit, bis der nächste Fahrgast zusteigt und man endlich wieder losfahren kann. Während der anschließenden Taxitour spielte die Lokalität Wiener Wald und eine Flasche Asbach Uralt eine tragische Rolle. Der Aufforderung der Flaschenbesitzerin mitzutrinken entzog sich der Chauffeur, in dem er die Tür zwischen ihnen schloß. Von außen. Harter Stoff.

...Am Bestellort kam ich vor einem Bungalow zu stehen. Ich überprüfte

nochmals die Hausnummer, verließ daraufhin die Taxe und klingelte an der

besagten Haustür. Wie erwartet, öffnete mir eine gebrechlich aussehende

Frau, die zwischen 40 bis 45 Jahre alt gewesen sein mochte und sagte:

>> Einen Moment bitte, << dann verschwand wieder im Innern der Wohnung.

Sekunden später kam sie mit einem Portemonnaie und einem Schlüsselbund in

der Hand zurück. Den Schlüsselbund drückte sie mir in die Hand und bat:

>> Können sie bitte für mich die Türe abschließen. <<

Sich am Türrahmen abstützend, verließ sie die Wohnung. Ich schloss die Tür

ab und gab ihr danach die Schlüssel.

>> Kann ich mich bei ihnen einhängen? <<

>> Selbstverständlich, << antwortete ich und reichte ihr meinen Arm.

Die Frau hatte einen sehr ungesunden Gesichtsausdruck, war blass, hatte

enorme Augenringe und war sehr wackelig auf den Beinen; ich half ihr auf den

Rücksitz der Taxe.

>> So, wo soll´s denn hin gehen? <<

>> Fahren sie mich bitte zum Wiener Wald in die Neue Kantstraße.

Anschließend fahren wir dann gleich wieder zurück. Ich muss nur eine Flasche

Cognac kaufen. <<

Vor dem Fahrziel angekommen, bat sie flehend:

>> Können sie für mich reingehen und eine Flasche zu 20 Mark kaufen,

bitte?...




Es ging in die Pause. Die meisten bestellten das nächste Getränk und führten sich Weihnachtsgebäck zu, das reichlich im Veranstaltungsraum auf Tellern verteilt war. Wir standen zusammen und tauschten uns aus. Nach einer viertel Stunde ging es zurück auf die roten Klappsessel. Serkan Cetinkaya präsentierte uns das tieftraurige und lange Gedicht OZEAN DER TRÄNEN. Ein Ausschnitt:


Spüre seit Tagen

eine tiefe Traurigkeit

tief in mir,

kalte schwere Tränen

sammeln sich unaufhörlich

nah am Inneren meines Auges

und klopfen und hämmern

an die Türe und

wollen raus,

hinaus,

müssen raus,

weil

aus der Tiefe meiner Seele

immer mehr Tränen nachrücken und

so den Platz nah am Auge immer enger werden lassen,

bis der Kopf nun auch Mühe hat,

dieser geballten Last

aus Traurigkeit, Sehnsucht und Schmerz

noch länger standzuhalten,

und nicht abzuknicken, um sich dem großen Druck zu

beugen;

auch ich

kann bald nichts mehr entgegenhalten.


Es folgte Alain, aus München angereist, mit seiner Geschichte FELIX AM INSULANER. Ebenfalls eine TS-Premiere. Sie spielt auf zwei Ebenen: Felix liegt in einem öffentlichen Bad alleine auf einer Wiese und beobachtet ein knutschendes Liebespärchen auf der Decke nebenan und erinnert sich an damals... vor vielen Jahren, als er selbst mit seiner Freundin eng umschlungen die Welt um sich vergaß.


Bernhard Lenort folgte mit seiner Geschichte SCHÖNE BESCHERUNG. Ein Traum-Mietshaus-Blondinen-Wasser-Montage mit ständig wechselnden Ebenen, die sehr skurril daher kam und zum Lachen animierte.


Katharina, noch eine TS-Premiere des Abends, las uns ihre Geschichte ERKENNTNIS vor, in der es um das Verlassen-Werden und die Kämpfe danach geht. Sehr expressiv, beharrlich und auch wiederholt überraschend.


Regina Seidel vom TINTENSCHIFF präsentierte zum Abschluss eine weitere Folge unserer Fortsetzungsgeschichte WEIHNACHTEN IN DER HAFENBAR. Auch da! Ein obdachloser, herumirrender Mann entdeckt die Hafenbar, betritt sie und erlebt am 2412 ein unkleines, zwischenmenschliches Wunder. Also da geht so was schon. In der Hafenbar kommen sich Frau und Mann noch näher. Also... sowas. Na bitte, geht doch!


Danach war noch nicht Schluss, denn Susanne, in der ersten Reihe sitzende, gab bekannt, dass sie noch einige Gedichte vorstellen wollte. Das tat sich auch und ein romantisches Liebesgedicht schloß den Abend im roten Raum wärmend ab. Wir zogen alle nach vorn in den Gastraum und tauschten uns aus. Ich bestellte noch einen halben Liter Mineralwasser und gab mir den Rest. Ein fulminanter Abschluss eines ereignisreichen Jahres. Wenn das so weiter geht, brauchen wir bald einen größeren Raum! Aba echt!