GABRIELE HEGEL

Großstadtlyrik



Prenzlauer Berg

an der Eberswalder

Begrüßung in Prenzelberg

er empfängt mich mit Gerüchen

türkische, afrikanische, indische und thailändische

International denkt meine Nase

so zwischen Gerüsten, Graffiti

frischem Putz und vernagelten Geschäften

bin nicht hungrig, nur neugierig

koste Falafel und Bratwurst von “Konopke”

die Ampel grinst schon lange für mich grün

doch farbenblind flitzen die Zweirädrigen

die Gerüste erpressen Umwege

manch Kleinod bliebe ohne unentdeckt

finde Märchenland, Moderne und “Zille” Hinterhöfe

entdecke den “Kollwitz” Platz

aus dem Lyrikcafe erklingt Musik

ein Cello lockt

zu Bier oder Milchkaffe

zu heute unbekannten Autoren

die Nächte sind kurz

zu kurz für die Länge der Tage

Straßen wispern ihre Geschichte

die rote und die braune, die der Stadt

und eines Tages auch meine

junge Leute lachen, trinken, tanzen

küssen die Nacht und die Liebste

nicht einmal quietschende Straßenbahnen verhindern,

dass ich den Pulsschlag höre

hier verführt die Stadt zum Bleiben

die Besucher, die Berliner

und vor allem aber mich



Kreuzberg

die größte türkische Stadt außerhalb der Türkei

fängt mit “B” an

habe ich gelesen

dass ihr Herz in Kreuzberg schlägt

können wir hören & fühlen

ich mag den Geruch von Oliven & Knoblauch

dort auf den Märkten

das “Guten Tag Madam”

während meine Augen noch wählen

und das frische Obst in den farbigen Tüten

gern würde ich das Haar unter den Tüchern freilassen

plaudern mit den Mädchen & Frauen

aus dem Land der langen Sommer

über Zurückgelassenes & meine Urlaubseindrücke

darüber, dass ihr Lachen bei ihnen in der Heimat wie Musik klingt

würde erzählen von meiner Stadt

die Heimat werden möchte

von Freundschaft & Integration

doch scheues Lächeln entflieht bei zu viel Nähe

unter den wachsamen Blicken der Männer

würde Vorurteile

türkische & deutsche, ihre & meine

so gern in die Spree werfen

damit diese sie fortträgt, das Meer sie verschlingen kann

doch ich nehme sie, mit dem Obst, wieder mit nach Hause



Tempelhof

meine Wohnung unter dem Dach

vor dem Haus eine Birke

die Blätter kaum grün

asthmatisch

vielleicht auch Krebs, Lungenkrebs

der Verkehr ist dicht, zu dicht

selbst mir fällt manchmal das Atmen schwer

der Blick über die Stadt weit

am Abend flackern die Sterne

wechseln sich ab mit den Positionslichter der federlosen Riesenvögel

alte Dächer

Antennenmeer getaucht in Rot

Musik, Lachen, Streit

besonders im Sommer

wenn die Eckkneipen überfüllt sind

und bei "Bruno" italienisch gesprochen wird

man nicht schlafen kann

weil die Betrunkenen grölen

die Sirenen der Rettungswagen jaulen

und die Glocke des Kirchturms jede Stunde zählt

ich sollte fortziehen

und die Birke mitnehmen

dorthin, wo Ruhe ist und reine Luft

wir vielleicht noch zu retten sind

doch ich bleibe

denn, ich bin noch lange genug tot






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